Vor ein paar
Jahren gab es mal eine Maus, die sich in den Physiksälen unserer Schule
heimisch fühlte. Sie wurde mal in diesem, mal in jenem Raum gesehen. Wo und
wovon sie genau lebte, blieb ein Geheimnis. Ein Geheimnis blieb auch, wie sie
es schaffte, bei jedem Auftauchen die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse auf
sich zu ziehen - so ganz ohne Medienspektakel und pädagogische Tricks.
Vermutlich war
sie einfach nur süß, soll ja oft schon reichen, um Aufmerksamkeit zu ergattern.
In meinem Natur
und Technikunterricht erlangte neulich eine ganz andere Spezies unerwartet hohe
Aufmerksamkeit. Ohne süß zu sein, übrigens.
Ich war's leider nicht.
Mein Job bestand darin, meine Schüler zum Entdecken anzuleiten, damit sie ein bisschen aus dem echten Leben mitbekommen und sich wie kleine Wissenschaftler fühlen können. Das Thema war Trennen von Gemischen, das Zuckerl, ein bisschen Stiftung Warentest spielen zu dürfen. Herauszufinden nämlich, ob die auf der Müsliverpackung angegebenen Anteile tatsächlich der Realität entsprechen. Einfach umzusetzen: ein Pappteller, ein Schaschlikstäbchen, ein Esslöffel Müsli und ein bisschen Geduld auf Seite der Schüler.
Zur Auswahl standen: Schokoladen-, Nuss- und Früchtemüsli. Begeistert standen die Schüler am Pult an um sich die Forschungsmaterialien abzuholen. Manchen lief schon das Wasser im Mund zusammen, obwohl die Pause gerade erst vorbei war. Schülermägen scheinen nämlich nie voll zu sein. Und so muss man wirklich aufpassen, dass das Übungsmaterial nicht schon vor der Forschungseinheit aufgegessen wird.
Während ich Schüler um Schüler mit Material versorgte, scharrten die anderen in der Schlange ungeduldig mit den Füßen, berieten sich, welches Müsli sie wählen sollten oder versuchten, sich vorzudrängeln.
"Da bewegt sich was im Müsli!"
"Ja, ja, da bewegt sich immer was."
Kennt man ja, dass Nüsse von der Schwerkraft angezogen die Haferflocken überholen und in die Tiefe der Tüte absinken.
"Da bewegt sich wirklich was!"
"Ja, ja."
Es brauchte noch zwei weitere Schüler, bis ich merkte: da bewegt sich tatsächlich was. Winzige schwarze Punkte krabbeln durchs Müsli.
"Iiiiiiihhh!"
In der Packung mit den Nüssen krabbelt es gewaltig, also weg mit der Tüte. Aber auch in der Tüte mit dem Früchtemüsli feiern die Schädlinge Party. Nur, wenn ich alles Müsli entsorge, habe ich kein Übungsmaterial mehr. Also spiele ich die Tierchen herunter.
"Kein Problem. Ihr sollt sie ja nicht essen."
"Iiiiiiiiihhhh - essen!"
"Iiiiiiiiihhhh!"
"Die Käfer sind kein Problem, sie beißen nicht und sie sind nicht giftig."
"Aber sie sind ekelig!"
Stoisch löffle ich Müsli aus den Tüten auf die Teller der Schüler und bald ändert sich die Stimmung. Trotz der Käfer wählen etliche Schüler das Früchtemüsli und gehen damit stolz an ihre Plätze zurück. Dann wird gearbeitet, nicht ohne das eine oder andere Quietschen, natürlich.
"Bei mir sind ganz viele Käfer drin!"
Die Banknachbarn springen auf und gucken auf den Teller.
"Die verstecken sich ja unter den Haferflocken!"
"Ich hab auch drei, aber zwei sind schon tot."
Die Kinder rennen an den Tisch, um die toten Käfer zu begutachten.
"Wie soll ich denn die Käfer sortieren? Die laufen ja immer wieder weg!"
Eine Traube bildet sich um den Jungen, alle helfen, die Käfer in der Tellermitte zu halten.
"Ich hab' schon sieben Stück!"
Alle Kinder laufen an den Tisch, um die Krabbeltiere anzuschauen.
"Ich habe nur einen", sagt ein Junge, lässig setzt er hinzu: "Ich nenne ihn Günter."
Die Aufregung ebbt eine Weile auf und ab, dann wird es ruhiger und alle arbeiten konzentriert. Manche fangen sogar an zu experimentieren. Ein Mädchen hat Stücke von Haferflocken, Weizen und Cornflakes um den Käfer gelegt und guckt gespannt auf den Teller.
"Ich schau jetzt, wo sie hinlaufen."
Nach einer Weile stellt sie strahlend fest: "Sie essen Haferflocken am liebsten."
Später ist Günter verschwunden. Er ist vom Tisch gefallen und erkundet nun das Klassenzimmer so wie die Schüler ihre Teller.
Als alle Müslisorten auseinandersortiert sind, werten wir die Ergebnisse aus. Es stellt sich heraus: wo Müsli drauf steht, ist auch Müsli drin - und die Anteile sind wie angeben, mal abgesehen von den Käfern, aber die stehen ja auch nicht auf der Zutatenliste.
Dafür haben sie das selbsttätige Forschen angeregt. Über die spannenden Fragen, wer am meisten Käfer auf dem Teller hat und wie diese zwei Jahre im Natur und Technikschrank überleben konnten, haben auch alle vergessen, dass sie Käfer eigentlich ganz ekelig finden.
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