Irgendwann, das war mir völlig klar, würde es passieren: einer der Tausenden von Straßenhunden auf Mauritius würde mir in die Wade beißen. Mich erst anbellen, knurrend auf mich zustürzen, mir dann seine spitzen Zähne ins Fleisch hauen, ein Stück herausreißen und mich blutend zurücklassen.
Wie sich diese Fantasie in mir festsetzte, ist mir unverständlich. Weder fürchte ich mich vor Hunden, erst recht nicht vor Straßenhunden in fernen Ländern, die meist getreten, geschlagen und verjagt werden, und daher zu Menschen einen gebührenden Abstand halten, noch hat mich je einer gebissen.
Der erste Hund, dem ich auf Mauritius begegne, hat sich einen Schattenplatz unter einem türkisfarbenen Hauseingang gesucht, wo er gleichmäßig atmend schläft. Als er meine Schritte hört, hebt er kurz den Kopf, öffnet ein Auge, um dann sofort wieder in den Tiefschlaf zu versinken. Eine Unbekannte, bringt kein Futter, uninteressant.
Die nächsten zwei sind damit beschäftigt, sich das Beste aus einer Tüte mit Essensresten herauszuklauben. Mich streifen sie nur mit einem Seitenblick, ich bin keine Gefahr für ihr Abendessen.
Der dritte, vierte und fünfte Hund, den ich auf dem Nachmittagsspaziergang durch Mahébourg treffe, schläft. Der eine hat es sich im Schatten auf einer Gartenliege bequem gemacht, der andere liegt auf einer Terrasse und stützt sich mit den Pfoten an der Hauswand ab, ein weiterer schnarcht auf einer Treppenstufe.
Nach dem zehnten Hund höre ich auf zu zählen. Es sind erstaunlich viele, die die Straßen von Mahébourg durchstreifen, durchaus keine kleinen Hunde und fast alle mit schön glänzendem Fell. Immer wieder sehe ich, wie jemand eine Plastiktüte mit Essensresten am Straßenrand deponiert. Für die Hunde wird gesorgt.
An der Mahébourg Waterfront, von der aus man bis zum Lion Mountain sehen kann, sitzen in der Dämmerung Liebespaare, Familien, die ein Picknick machen, und wenn die Nacht hereinbricht trifft sich bei Rum und Bier eine Gruppe Männer zum Kartenspielen. Drei Jugendliche stehen an der Ufermauer und trinken Softdrinks. Neben ihnen sitzt angeleint ein kleiner weißer Pudel, der wenig später in der Umhängetasche nach Hause getragen wird. Ein dunkler Labrador wird Gassi geführt, ein Bullterrier wird am Postamt per Aushang gesucht, alle anderen streifen herrenlos glücklich über die Insel.
Wo immer ich hinkomme, ein Hund ist schon da. Auf dem Weg zum Supermarkt liegt ein wuscheliger Hund an der immer gleichen Stelle auf einem Parkplatz und schläft, drei sandfarbene scheuche ich in Port Louis am Parkplatz der Caudan Waterfront auf, wo sie sich in der Mittagshitze unter den Autos ausruhen. Hunde liegen vor dem Fiseursalon, streifen an der Polizeiwache vorbei, sitzen wachsam vor einer Bar oder im Schatten einer Palme.
Sie sind einfach überall. Keine Straßenecke, an der kein Hund steht, kein Garten, aus dem keiner herausbellt. Gemeinsam suchen sie Schutz unter Bäumen mit weit ausladenden Kronen, wenn der Tropenregen aus dem Himmel platscht, stehen rechts und links der Straße, und überqueren sie völlig sorglos. Gemächlich trottet eine Gruppe von Hunden von einer Straßenseite zur anderen, ein schwarz-weißer Hund streckt sich ausgiebig erst auf der rechten Straßenseite, dann auf der linken. Der Verkehr kommt beidseitig zum Erliegen, alle Autofahrer warten geduldig, bis die Hundemeute die Straße überquert hat.
Hunde, stelle ich fest, sind hier ein fester Bestandteil des Straßenverkehrs. Sie beanspruchen ihren Platz am Straßenrand, Autofahrer machen einen Schlenker um sie herum oder hupen kurz, damit sie gewarnt sind. Sie halten den Verkehr auf, weil sie die Straße kreuzen oder auf dem Asphalt liegen. Was niemanden stört. Wie die heiligen Kühe in Indien, darf hier ein Hund den Verkehr lahmlegen.
Trotz ihrer offensichtlichen Friedfertigkeit traue ich mich nicht, einen dieser Hunde zu streicheln. Vielleicht hat gerade dieser Hund jetzt schlechte Laune. Oder es ist der einzige Hund auf Mauritius, der die Hand beißt, die ihn füttert. Ich würde gerne, aber ich lasse es lieber.
Hinter der Kolonialvilla von Eureka liegt ein Gelände mit einigen Holzgebäuden, die von einer Künstleragentur genutzt werden. Ich höre den Bach, an dem der im Reiseführer beschriebene Wasserfall liegen soll, aber es führt kein Weg herunter. Ich biege in einen Weg ein, sehe einen Hund und eine Frau, die ich grüße, um nach dem Weg zu fragen.
Und da passiert es: der Hund stürzt wütend bellend auf mich zu, ignoriert den Ruf der Frau, bellt und knurrt mich von links und von rechts an, schnüffelt an meiner Wade, ärgert sich noch mehr, schnappt nach mir, erwischt mein Schultertuch, bis ich ihn anschnauze und er von mir ablässt. Er trollt sich. Puh!
Die Frau informiert mich höflich, dass der Weg zu den Wasserfällen nur durch die Kolonialvilla zu erreichen ist. Ich bedanke mich, und wende mich zum Gehen. Leider steht der Hund mitten im Weg.
Ich mache einen weiten Bogen um ihn, warte darauf, dass er mich jeden Moment wieder anfällt, schnauze ihn vorsichtshalber an, mich in Ruhe zu lassen. Anscheinend versteht er mich. Er hält den Kopf gesenkt, wirft mir nur noch ein paar misstrauische Blicke zu.
Wusste ich nicht, dass das passieren würde? Immerhin, so tröste ich mich, folgt auf ein Unglück statistisch gesehen nicht gleich das nächste – und kann somit einem von Hundeattacken freien Urlaub entgegen sehen.
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