Herz auf Eis
Isabelle Autissier
Ich bewundere Abenteuerer und Romanhelden ganz offen. Habe ich ein spannendes Buch zu Ende gelesen, würde ich am liebsten selbst direkt von der gemütlichen
Couch hinaus ins Abenteuer ziehen: auf einen Achttausender klettern, den Amazonas mit einem
Kanu bis zu den Quellen erkunden oder eine Wüste durchqueren. Zu groß kann das virtuelle Abenteuer gar nicht sein, denn selbstverständlich absolviere ich es glorreich.
Aber was, wenn das Abenteuer schief geht? Wenn man nicht heil, und voll von aufregenden Geschichten wieder nach Hause kommt? Wenn man zwischendrin steckenbleibt, sich verirrt oder gar verhungert?
Genau darum geht es in dem Roman von Isabelle Autissier. Ein junges Paar wagt den Ausstieg, segelt in seinem Sabbatjahr durch die Weltmeere. Sie sind glücklich und voller Abenteuerlust, ergänzen sich in ihrer Verschiedenheit und sind froh, sich auf die ungewisse Reise gemacht zu haben.
Bis zu dem Tag, an dem sie einen Fehler machen, sich dem Übermut hingeben, ihre Füße auf eine verbotene Insel setzen – und prompt feststecken.
Feststecken auf einer unbewohnten Insel, in Sturm, Regen und Schnee, im antarktischen Winter. Das Segelboot hat sich vom Anker gerissen, und die Rettung durch ein anderes Schiff ist nicht zu erwarten, weil für die Insel ein Betretungsverbot gilt.
Wer auf eine erfolgsgepflasterte Robinsonade hofft, wird bitter enttäuscht. Louise und Ludovics Fähigkeiten zum Überleben beschränken sich weitgehend auf das Durchsuchen der verlassenen Walfangstation, in der sie Schutz finden. Zwar lernen sie bald Pinguine und Robben zu töten, um nicht zu verhungern. Vor allem aber erkennen sie, dass sie als typische Exemplare einer Wohlstandsgesellschaft kaum Fähigkeiten zum Überleben in dieser lebensfeindlichen Umgebung mitgebracht haben.
Und so gehen neben den Nahrungsmitteln schnell die psychischen Vorräte zur Neige. Das ehemals glückliche Paar kämpft: gegen die Natur, gegen Hunger, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit und gegeneinander, bis die beiden auf ganz unterschiedlichen Wegen der Situation entkommen.
Louise kehrt zurück nach Europa, wo sie den nächsten Kampf ums Überleben führt: zwischen Medienrummel und Gewissensbissen taumelnd, findet sie in kleinen Schritten zurück ins Leben.
Als ehemalige Einhandseglerin kennt Autissier sich mit lebensbedrohlichen Situationen, Einsamkeit und Beharrlichkeit aus, was sie in poetischer Sprache darstellt.
Ein eindrucksvoller Roman, der viel zu schnell zu Ende ist, aber eindringlich im Gedächtnis haften bleibt, weil die bange Frage bleibt:
Wie hätte ich mich selbst verhalten?