Davit Gareja
Im 6. Jahrhundert kam der Mönch Johannes Zedazeni mit
zwölf Gefährten, unter ihnen Davit Gareja, aus Mesopotamien nach Georgien. Ihre
strenge und asketische Lebensweise sowie der Bau von Kirchen und Klöstern in
ganz Georgien, sorgten dafür, dass sich der christliche Glaube etablierte.
Kirchliche Skandale sind keine Erfindung der Neuzeit
und so ist es wenig verwunderlich, dass Davit Gareja sich eines Tages mit dem
Vorwurf konfrontiert sah, Vater eines ungeborenen Kindes zu sein. Ungeheuerlich
für einen Mann seines Amtes.
Um sich von dem Vorwurf zu befreien, gab es keine
einfachere Möglichkeit, als direkt das
Kind im Bauch zu befragen. Und welch‘ Glück! Das Kind bestätigte die Unschuld
des Geistlichen und nannte sogar den Namen seines tatsächlichen Vaters.
Zwar war der Geistliche vom Verdacht entlastet, aber
irgendetwas bleibt immer, das weiß man ja. So muss es dem Mann in der
Gesellschaft wohl etwas unwohl geworden sein, und er zog in ein Kloster in der
wüstenhaften Landschaft an der Grenze zu Aserbaidschan. Dort lebte er für den
Rest seines Lebens zurückgezogen und diente ausschließlich Gott.
Heute können sein Kloster, und einige weitere
Höhlenkloster in der Umgebung, besichtigt werden. Manche von ihnen sind laut
Reiseführer nur kletternd erreichbar. Es wird auch geraten, für die letzten
zwölf Kilometer hinter Udabno mehr Zeit einzuplanen. Die Schotterstraße sei
sehr schlecht. Aber was heißt schon schlechte Straße? Über die Landkarte
gebeugt schauen wir uns den Straßenverlauf an.
„Ob’s geht, wissen wir erst, wenn wir dort sind“,
stellt mein Reisepartner fest.
Da hat er Recht. Ich nicke, und für Abenteuer bin ich
grundsätzlich auch zu haben. Wir entscheiden uns für eine Rundtour über Rustawi
hin und über Udabno zurück. So leicht lassen wir uns nicht abschrecken.
Kurz bevor die Asphaltstrecke sehr schlecht wird,
fahren wir an einer Polizeistation vorbei. Rundherum ist nichts. Gar nichts.
Keine Dörfer, keine Häuser, nur trockene Landschaft.
„Das ist bestimmt eine Strafversetzung, wenn man da
Dienst schieben muss.“
Warum es hier eine Polizeistation braucht, verstehen
wir jedenfalls nicht.
Dahinter dauert es keine halbe Stunde, bis sich die
Straße in eine mühsam befahrbare Schotterpiste mit streckenweise sehr tiefen
Fahrrinnen verwandelt.
„Fast wie die Rallye Paris – Dakar, oder?“
Wir holpern über die Straße, wechseln uns beim Fahren
ab, wenn es zu anstrengend wird.
Rechts und links der Straße liegt trockene Steppe,
soweit das Auge reicht. Je weiter wir uns im Schneckentempo die Serpentinen
hoch schrauben, um so hügeliger wird es. Je mehr Hügel, umso weniger
Vegetation, überall trockenes gelbes Gras garniert mit Schotterinseln. Von
Siedlungen keine Spur, auf der Straße sind wir ganz allein unterwegs.
„Haben wir genug Benzin?“
Der Premiumreisepartner nickt.
„Ansonsten läuft halt einer von uns mit den
Benzinkanister zu nächsten Tankstelle.“
„Wir haben keinen Benzinkanister.“
Aber wir haben ja genug Benzin, vorausgesetzt, die
Straße führt uns zum gewünschten Ziel, wonach es bislang nicht aussieht. In der
Ferne schlängelt sich die Straße als helle Linie durch die schier endlose
Landschaft.
Wir entscheiden uns, bis zur nächsten Kuppe zu
fahren. Hinter der eine neue Kuppe erscheint, auf die wir hoffnungsfroh fahren,
und viele weitere danach. An der Landschaft ändert sich wenig, nur die
Fernsicht über die flirrende Hitze hinweg wird besser.
„Der Schotter sieht aus, als hätte ihn ein Fluss
hierher getragen.“
Die Geographin in mir freut sich, dass die Landschaft
etwas zu erzählen hat.
„Hat hier nicht die biblische Flut stattgefunden?“
Möglich. Der Berg Ararat, auf dem Noah mit seiner Arche
strandete, ist keine 350 km Luftlinie entfernt.
Vorerst beschäftigt uns aber weniger die Frage nach
dem Überleben der Arten als die Frage, ob unser Mietwagen das gewählte
Abenteuer überleben wird. Passabel befahrbare Abschnitte mit geringer Steigung
wechseln sich mit Strecken ab, auf denen pflastersteingroße Felsbrocken die
Piste rutschig und kaum passierbar machen. Abenteuer gehört zu einem Urlaub
unbedingt dazu, da sind wir uns einig. Trotzdem werden unsere Bedenken größer
und größer.
„Die Autovermietung schickt sicher einen
Abschleppwagen, wenn wir hier stecken bleiben.“
Günther gibt sich zuversichtlich.
„Garantiert.“
Nach drei weiteren Kehren stehen wir plötzlich an der
Grenze zu Aserbaidschan. Vor uns auf dem Berg ein mächtiges Grenzgebäude,
direkt am Straßenrand eine Mauer aus Grassoden und Stacheldraht, dazwischen ein
Rasenstreifen, dahinter wieder das gleiche. Garniert mit unmissverständlichen
Schildern in engen Abständen: „Keep out! Firing zone.“
Obwohl die Schotterstraße direkt am Grenzzaun entlang
führt, sehen wir keine Bewegung in den grünen Wachtürmen entlang des Zauns,
keiner schreit uns an oder hält ein Gewehr in den Händen. Alle Gebäude wirken
völlig ausgestorben, aber – wer weiß? Achselzuckend fahren wir weiter.
Die Straße wird nicht besser. Das Kloster ist nach wie vor nicht zu sehen, um uns herum
nur staubige, einsame Wüste.
„Eine Reifenpanne wäre jetzt schlecht.“
„Wir könnte die Grenzbeamten um Hilfe bitten.“
„Machen sie sicher gerne.“
Trotz des Herumalberns dämmert uns, dass dieser
Ausflug auch ein ungünstiges Ende nehmen könnte.
Dann teilt sich die Straße. Die eine Spur hat tiefe
Wasserrillen, die andere führt steil den Berg hoch.
„Vielleicht schauen wir uns das Gelände erst mal zu
Fuß an?“
Mein Reisepartner nickt und wir steigen aus. Es ist
heiß und trocken, unser vormals silberfarbenes Auto ist jetzt hellockergelb.
Ich steige auf einen Hügel, von dem aus ich weitere karge Hügel sehe und dass
die Straße irgendwo dazwischen verschwindet. Nicht die Information, die ich mir
gewünscht hatte.
Günther hat dagegen beobachtet, dass die Straße bald
besser wird. Also weiter, aber die Straße wird nicht besser, nur fahren wir
inzwischen auf einem breiten Grat.
„Ich glaube, das Auto können wir nie wieder
zurückgeben. Da fallen jetzt alle Schrauben raus.“
Der Premiumreisepartner wirkt überraschend verzagt.
Auf einmal kommt in der Ferne ein Wohnmobil auf uns
zugekrochen.
„Wenn man mit dem Ding die Straße fahren kann, dann
geht das mit unserem Auto auch!“ Da bin ich überzeugt.
„Vielleicht sind sie auch umgekehrt.“
„Punkt für dich.“
Als ich das Wohnmobil anhalte, wirken die beiden
Reisenden etwas verunsichert. Ein junges Pärchen aus Frankreich, beide tragen
eine Sonnenbrille. Erst als ich mich als deutsche Touristin vorstelle,
entspannen sie sich. Ich erkundige mich nach dem weiteren Verlauf der Straße.
Die sei schon machbar. Aber sie seien an einem Schild umgedreht, das auf eine
Grenze hinwies.
Die Frau zeigt mir ein Foto auf ihrem Smartphone.
„Aserbaidschan
border transition. Special permit needed.“
Verstehe. Da hilft es auch nicht, dass wir mit der
schlechten Straße inzwischen ganz gut zurechtkommen.
„Wir können doch einfach bis zu dem Schild fahren und
gucken, was passiert.
Prima Idee, Günther.
„Dann brauchen wir gleich am dritten Tag anwaltliche
Hilfe.“
Was wir dann doch nicht ausreizen wollen. Ein
bisschen enttäuscht drehen wir um und beschließen, das Kloster am nächsten Tag
über die bessere Route anzufahren.
Unten auf der Hauptstraße erwartet uns ein heftiges
Gewitter, der Regen peitscht auf die Frontscheibe, die Sicht verkürzt sich auf
fünf Meter, die Straße verwandelt sich in eine schmierige Oberfläche aus
gelöstem Lehm. Rechts und links der Straße bemühen sich Bäume an Ort und Stelle
zu bleiben, während die Böen wütend an ihren Ästen reißen. Am Straßenrand
warten wir ab und wir können uns gut vorstellen, wie Noah einst eilig die Arche
verschloss, um alle Lebewesen an Bord zu retten.
Zwanzig Minuten später ist alles vorbei und ein
kräftiger Regenbogen leuchtet vor dem schwarzen Himmel.
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